Waldbrand durch Glasscherben? – Was wir über Desinformation im Bevölkerungsschutz lernen können

Alle Jahre wieder – pünktlich zum Start der Waldbrandsaison – flammt auch ein alter Irrglaube auf: Glasscherben im Wald können wie Brenngläser wirken und gefährliche Waldbrände auslösen. So auch in einer aktuellen Warnmeldung des Landkreises Miesbach sowie Stadt und Landkreis Rosenheim auf dem Warnportal warnung.bund.de. Dort heißt es unter anderem, dass Glasscherben durch den Brennglaseffekt Waldbrände verursachen können.

Der Landesfeuerwehrverband Hessen hat kürzlich auf Facebook sachlich klargestellt: Das klingt plausibel – ist aber in der Realität ein Mythos.

Was sagen Wissenschaft und Fachstellen?

Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) gibt es keinen einzigen dokumentierten Fall, bei dem eine Glasscherbe nachweislich einen Vegetationsbrand ausgelöst hätte – obwohl dieser Mythos seit Jahrzehnten kursiert. Auch Medien wie der SWR, der BR und zahlreiche Brandschutzexperten weisen regelmäßig darauf hin: Für den sogenannten Brennglaseffekt müsste eine ganze Kette sehr spezifischer Bedingungen zusammentreffen – Krümmung, Sonnenstand, Lichtintensität, genaue Ausrichtung der Scherbe – ein Zufall, der in der freien Natur praktisch ausgeschlossen ist.

Was aber tatsächlich Waldbrände auslöst:

  • Unachtsam weggeworfene Zigaretten
  • Funkenflug durch Maschinen, Grills oder Lagerfeuer
  • Offenes Feuer in oder am Wald
  • Heißgelaufene Katalysatoren und Auspuffrohre auf trockenem Boden
  • Brandstiftung

In der Praxis sind es also menschliches Fehlverhalten und technische Ursachen, die zur Brandentstehung führen – nicht die Glasscherbe am Waldrand.

Warum halten sich solche Mythen trotzdem so hartnäckig?

Hier kommt ein zentrales Thema ins Spiel: Risikokommunikation und Desinformation.

Der Mythos von der brennenden Glasscherbe zeigt, wie schnell plausibel klingende, aber faktisch falsche Informationen verbreitet werden – selbst in offiziellen Kontexten wie Warnmeldungen. Hier greifen psychologische Mechanismen: Eine einfache, greifbare Erklärung („Glasscherbe = Brandgefahr“) wird schneller erinnert und weitergegeben.

Grundprinzipien der Risikokommunikation:

  • Faktenorientierung: Kommunikation muss sich an nachgewiesenen Gefahren orientieren.
  • Transparenz: Auch Unsicherheiten sollten benannt werden – aber ohne Spekulation.
  • Vertrauensaufbau: Wiederholte Korrektheit stärkt die Glaubwürdigkeit.
  • Framing vermeiden: Begriffe wie „Lupeneffekt“ triggern falsche Bilder – hier muss bewusst gegengesteuert werden.

Die Verantwortung liegt auch bei Kommunikator:innen im Katastrophenschutz – denn jede falsche Ursache lenkt von den echten Risiken ab.

Weitere Mythen aus Feuerwehr und Bevölkerungsschutz

Der Glasscherben-Mythos ist kein Einzelfall. Hier eine kleine Auswahl weiterer Irrtümer:

🔥 „Menschen geraten in Panik“

Der Mythos der „panischen Bevölkerung“ hält sich hartnäckig – und ist genauso falsch. Studien und Einsatzerfahrungen zeigen: In Katastrophen verhalten sich Menschen meist überlegt, solidarisch und hilfsbereit. Das Narrativ der „Massenpanik“ ist ein mediales Klischee und kann im Krisenmanagement sogar schaden.

🚨 „Sirenen lösen Chaos aus“

Oft gehört: „Wenn die Sirene geht, bricht Panik aus.“ Das Gegenteil ist richtig – Warnsysteme helfen, Leben zu retten. Voraussetzung ist, dass die Menschen wissen, was die Signale bedeuten – und was dann zu tun ist. Sirenen ohne Kommunikationsstrategie sind jedoch wirkungslos.

⛑️ „Katastrophenschutz ist Sache des Staates“

Ein gefährlicher Irrglaube. Bevölkerungsschutz funktioniert nur gemeinsam – Staat, Kommunen, Hilfsorganisationen, Wirtschaft und jede*r Einzelne sind gefordert. Resilienz beginnt mit Selbstschutz und Eigenvorsorge.

📣 „Kommunikation ist zweitrangig“

Ein oft unterschätzter Irrtum. In der Krise entscheidet gute Kommunikation mitunter über Leben und Tod. Information, Orientierung und Vertrauen sind zentrale Schutzfaktoren – gerade wenn Unsicherheit und Desinformation Raum greifen. Wer Kommunikation als Nebensache behandelt, riskiert Unverständnis, Fehlverhalten – und Vertrauensverlust.

Fazit

Der Mythos von der brennenden Glasscherbe ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich scheinbar logische, aber falsche Informationen festsetzen können – und wie wichtig eine klare, faktenbasierte Risikokommunikation ist.

In einer Zeit, in der Desinformation und hybride Bedrohungen zunehmen, braucht es mehr denn je Kommunikator:innen mit Fachwissen und Verantwortung. Denn nur wer die richtigen Ursachen benennt, kann auch die richtigen Schlüsse für Prävention, Aufklärung und Schutz ziehen.

Glasscherben gehören nicht in den Wald – aber nicht, weil sie Brände entfachen. Sondern weil sie Müll sind.

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