Resilienz in der Kommune: Aus Katastrophen lernen, vorbereitet sein

Kommunale Resilienz – also die Krisenfestigkeit und Anpassungsfähigkeit einer Gemeinde – ist kein abstraktes Modewort (Was bedeutet kommunale Resilienz? – KommunalWiki). Sie entscheidet im Ernstfall darüber, wie gut eine Stadt oder Gemeinde eine Krise übersteht. Wir alle neigen dazu, die unsichtbaren Grundlagen unseres Alltags für selbstverständlich zu halten: „Alles, was nicht sichtbar ist … wird als selbstverständlich hingenommen“ (Und dann fällt der Strom aus … | Markus Becker und Guido Quelle) – Strom aus der Steckdose, sauberes Wasser aus dem Hahn, funktionierende Straßen und Kommunikationsnetze. Und dann fällt der Strom aus… – was nun? Spätestens wenn extreme Ereignisse eintreten, merken wir, wie lebenswichtig intakte Infrastruktur und vorbereitetes Krisenmanagement sind. Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 war genau so ein Weckruf. Sie hat dramatisch vor Augen geführt, warum kommunale Resilienz und ein effektives Krisenmanagement Chefsache sein müssen.

»Alles, was nicht sichtbar ist, alles, was nicht unmittelbar ins Auge fällt, wird als selbstverständlich hingenommen. […] Die Nutzer der kommunalen Infrastruktur – also wir alle – gehen davon aus, dass diese fortwährend zur Verfügung steht. Selbstverständlich steht Strom zur Verfügung, damit unsere Rechner funktionieren. Natürlich ist das Glasfaserkabel verfügbar, das die Daten blitzschnell überträgt. Selbstredend können wir unsere mobilen Telefone laden und natürlich auch betreiben. Das Wasser zum Zähneputzen und Händewaschen kommt wie von Geisterhand aus dem Wasserhahn und es läuft ebenso unbemerkt wieder ab und dies ist selbstverständlich.«

S. 59, Und dann fällt der Strom aus …

Die Flut im Ahrtal: Herausforderungen als Warnsignal

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 verwüstete eine Jahrhundert-Flut weite Teile des Ahrtals in Rheinland-Pfalz. Innerhalb weniger Stunden brachen essenzielle Versorgungs- und Kommunikationsstrukturen zusammen. Die Katastrophe offenbarte schmerzhaft verschiedene Herausforderungen im Krisenfall:

  • Kommunikationsausfälle: Der komplette Ausfall von Telefon- und Datennetzen führte zu enormen Problemen bei der Koordination der Helfer und der Information der Bevölkerung. Nichts ging mehr durch – es gab weder Handyempfang noch funktionierende Warnsysteme. Dies machte deutlich, wie wichtig redundante, unabhängige Kommunikationswege in Krisenzeiten sind. Ein Bürgermeister formulierte die bittere Lektion so: „Wenn du nichts hörst, bedeutet es nicht, dass nichts ist“. Keine Nachricht war in diesem Fall kein gutes Zeichen, sondern schlicht das Resultat ausgefallener Infrastruktur.
  • Überforderung der Einsatzkräfte: Viele derjenigen, die eigentlich die Krise managen sollten – Führungskräfte in Verwaltung und Hilfsorganisationen – waren selbst von der Flut betroffen. Sie mussten sich zuerst um ihre eigene Existenz kümmern. Dadurch fehlten wichtige Personen im Krisenstab. Zudem gab es teils unklare Zuständigkeiten und lückenhafte Übergaben, was zu ineffizienten Doppelarbeiten führte. Mitten im Chaos musste erst mühsam eine funktionierende Führungsstruktur geschaffen werden, während die Ereignisse bereits rollten.
  • Bürokratische Hürden: Selbst in der akuten Not bremsten bürokratische Vorgaben und Abstimmungsprozesse die Hilfe aus. Hilfsangebote und dringend benötigte Ressourcen blieben ungenutzt, weil offizielle Alarmwege nicht funktionierten oder Entscheidungen zu langsam getroffen wurden. So standen z.B. am Nürburgring hunderte Helfer und Geräte bereit, die aufgrund von Zuständigkeitsfragen und Formalitäten erst verspätet ins Tal geschickt wurden. Das Ahrtal zeigte, dass in Krisensituationen starre Verwaltungsvorschriften massiv hinderlich sein können. Künftig müssen formale Prozesse im Notfall drastisch vereinfacht werden, damit Hilfe schneller ankommt.

Diese Probleme sind Warnsignale für alle Kommunen in Deutschland. Was in einer ländlichen Region geschah, kann im Prinzip überall passieren – sei es durch Hochwasser, Sturm, Pandemie oder einen großflächigen Stromausfall. Entscheidend ist, aus diesen Erfahrungen zu lernen, um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein.

Fünf Schlüsselbereiche für eine resiliente Gemeinde

Aus der Flutkatastrophe lassen sich konkrete Erkenntnisse ableiten, wie Gemeinden krisenfester werden können. Markus Becker, der die Ahrtal-Flut selbst als Krisenstabsmitglied miterlebt hat, und Guido Quelle fassen in ihrem Buch „Und dann fällt der Strom aus…“ die wichtigsten Handlungsfelder zusammen. Besonders betonen sie folgende fünf Punkte:

  1. Dezentrale Strukturen stärken: Lokale Akteure – Kommunen, Stadtwerke, regionale Betriebe – müssen personell und organisatorisch so ausgestattet sein, dass sie auch bei großflächigen Ausfällen handlungsfähig bleiben. Das bedeutet z.B. Notfallpläne für jede Gemeinde und vorsorglich vereinbarte Kooperationen mit Nachbarkommunen. Werden zentrale Stellen lahmgelegt, muss die Ebene darunter einspringen können.
  2. Infrastruktur als Lebensader sichern: Strom ist die entscheidende Infrastruktur, denn ohne Energie funktionieren weder Kommunikation noch Wasser-, Abwasser- oder Gesundheitsversorgung. Entsprechend braucht es Konzepte, um im Blackout-Fall die Stromversorgung wenigstens punktuell (z.B. über Notstromaggregate oder Inselnetze) aufrechtzuerhalten. Auch improvisierte Lösungen – vom Trinkwasser-Notbrunnen bis zur Behelfsbrücke – sind im Krisenfall essenziell, müssen aber später durch strategisch geplanten Wiederaufbau abgelöst werden.
  3. Zusammenarbeit und Netzwerke: Keine Kommune steht allein. Zusammenarbeit mit benachbarten Gemeinden, Landkreisen, Bundeswehr, THW und privaten Unternehmen ist entscheidend. In der Ahr-Katastrophe erwies sich auch die Einbindung erfahrener Experten (etwa pensionierter Ingenieure oder Führungskräfte) als wertvoll – solche Personen bringen Know-how und Überblick, den man in der akuten Lage dringend braucht. Daher sollte man schon in guten Zeiten Netzwerke pflegen und Übungseinsätze gemeinsam planen.
  4. Effiziente Entscheidungsstrukturen: In Krisenzeiten müssen Entscheidungswege kurz sein. Klare Verantwortlichkeiten und Handlungsvollmachten sparen Zeit. Viele Autoren plädieren dafür, einen zentralen Krisenkoordinator – einen „Kümmerer“ – zu benennen, der im Ereignisfall bereichsübergreifend Befugnisse hat und Entscheidungen schnell auf den Weg bringt. So jemanden gab es im Ahrtal zunächst nicht, was die Abstimmung erschwerte. Künftige Krisenstäbe sollten hier im Voraus Rollen festlegen.
  5. Vorausschauende Planung: Ein Blick in die Zukunft ist essentiell. Viele Kommunen haben keine aktuellen Konzepte für kritische Bereiche wie Hochwasserschutz, Verkehrswege, Energie- oder IT-Versorgung. Die Lehre lautet: Alte Pläne gehören dringend auf den Prüfstand. Szenarien wie ein „Jahrhunderthochwasser“ oder längerfristiger Stromausfall müssen durchgespielt und geplant werden, auch wenn man hofft, dass sie nie eintreten. Nur so kann man im Ernstfall zukunftsfähige Lösungen parat haben.

All diese Bereiche zeigen: Resilienz entsteht nicht von allein – sie muss aktiv gestaltet werden. Gemeinden können viel tun, um robuster zu werden, aber es erfordert jetzt Investitionen, Konzepte und Mut zu neuen Wegen.

Praktische Empfehlungen für Kommunen und Entscheider

Was bedeuten diese Erkenntnisse ganz konkret für Bürgermeister:innen, Landrät:innen und die Verwaltungsspitze? Becker und Quelle richten sich in ihren Empfehlungen direkt an die kommunalen Entscheider und geben praxisnahe Ratschläge:

  • Überlastung vermeiden: Planen Sie in längeren Kriseneinsätzen Erholungsphasen für das Führungsteam ein. Dauerstress ohne Pause führt unweigerlich zu Ausfällen und Fehlentscheidungen – niemand kann tagelang rund um die Uhr leistungsfähig bleiben. Rotationspläne und Ablösungen sind ein Muss.
  • Teams statt Einzelkämpfer: Verlassen Sie sich nicht auf einzelne „Helden“. Stellen Sie Teams auf, so dass der Ausfall einer Schlüsselfigur nicht das gesamte Krisenmanagement lahmlegt. Redundanz gilt nicht nur für Technik, sondern auch für Personen. Schulung und Übungen sollten immer mehrere Vertreter einbeziehen.
  • Kommunikation sicherstellen: Etablieren Sie einfache, robuste Kommunikationswege. Stellen Sie z.B. Funkgeräte oder Satellitentelefone für den Notfall bereit und vereinbaren Sie Melderouten, falls elektronische Kommunikation ausfällt. In der Krise sind direkte Verbindungen Gold wert – jeder zusätzliche Zwischenschritt kann zur Informationsfalle werden.

Zudem zeigt sich Resilienz in vielen kleinen Vorbereitungsschritten. Ein Beispiel: Während der Flut merkten einige Verantwortliche, dass sie nicht einmal ein batteriebetriebenes Radio hatten, um Nachrichten zu empfangen, als der Strom ausfiel. „Inzwischen habe ich zehn davon, für den Fall der Fälle“, berichtet ein Bürgermeister rückblickend. Solche Vorsorge im Detail – vom Notfallradio über Notfalltreffpunkte bis zum Bürgertelefon – kann im Ernstfall den entscheidenden Unterschied machen. Es lohnt sich, solche Szenarien im Rathaus einmal durchzuspielen: Was wäre, wenn morgen früh der Strom weg ist? Wer informiert dann wen, wo gibt es Anlaufstellen, welche Ressourcen sind als erstes nötig? Resilienz bedeutet, heute schon Antworten auf diese Fragen zu haben.

Resilienz zur Chefsache machen

Schlussendlich ist klar: Resilienz muss zur Chefsache werden. Die besten Konzepte nützen wenig, wenn sie in der Schublade liegen. Es braucht kommunale Spitzen, die das Thema zur Priorität erklären. Becker und Quelle betonen, dass gerade Landrät:innen und (Ober-)Bürgermeister:innen gefordert sind: „Sie sind es nämlich, die letztlich entscheiden, welche Wertschätzung die Infrastruktur in ihrem Landkreis oder ihrer Kommune erfährt“. Anders gesagt: Die kommunale Führung gibt den Takt vor. Sie muss aktiv hinterfragen, wo die eigenen Verwundbarkeiten liegen, und resilientere Strukturen einfordern und fördern. Hochwasser- und Katastrophenschutz sind eben „kein Luxus“, sondern gehören zur Daseinsvorsorge.

Tatsächlich hat das Vertrauen in die Sicherheit unserer Infrastruktur seit der Ahrtal-Katastrophe gelitten. Zugleich sehen wir im Alltag weiterhin marode Brücken, überlastete Netze und knappe Kassen in vielen Kommunen. Doch Nichtstun ist keine Option: „Ändern wir nichts daran, sind neue Katastrophen unabwendbar“, warnen die Autoren.

Die gute Nachricht ist, dass jede Kommune jetzt anfangen kann, resilienter zu werden. Vieles ist machbar, wenn der Wille da ist: von regelmäßigem Krisenstab-Training über die Ausstattung von Notfalllagern bis hin zu Bürgeraufklärung für den Ernstfall. Wichtig ist, dass das Thema von oben aktiv vorangetrieben wird. Wenn Bürgermeister:innen persönlich hinter der Krisenvorsorge stehen, bekommt sie auch die nötige Aufmerksamkeit in Verwaltung und Politik.

Resilienz ist keine Theorie, sondern konkrete Praxis. Jede investierte Stunde in Vorsorge, jedes verstärkte Bauwerk, jeder ausgearbeitete Notfallplan zahlt sich aus, wenn es darauf ankommt. Die Ahrtal-Flut hat uns gelehrt, wie hoch der Preis fehlender Vorbereitung sein kann. Nutzen wir diese Erfahrung als Ansporn: Machen wir Krisenvorsorge zur Chefsache – jetzt, bevor die nächste Krise kommt.

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