Zwischen Gerücht und Gegenmaßnahme – Wie Sicherheitsbehörden ethisch auf Falschinformationen reagieren können

Falschinformationen gehören längst zum Alltag in sozialen Medien – auch für Einsatzkräfte, Verwaltungen und Sicherheitsbehörden. Ob Gerüchte über angeblich kollabierende Talsperren wie beim Hochwasser 2021, Verschwörungsnarrative nach Amok- und Terrorlagen oder Desinformationen über Einsatzkräfte selbst: Was viral geht, kann Leben gefährden und Vertrauen zerstören. Doch wie sollen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) reagieren, wenn sie selbst zur Zielscheibe oder unbeabsichtigte Verstärker von Falschnachrichten werden?

Einen umfassenden und zugleich differenzierten Beitrag zur Diskussion liefert das aktuelle SIAK-Journal 2/2025. Die beiden Ethikforscherinnen Maria Pawelec und Luzia Sievi analysieren dort ethische und demokratietheoretische Aspekte möglicher Reaktionen auf Falschinformationen – und liefern BOS praktische Fragen und Maßstäbe an die Hand.

Zwischen Sicherheit und Meinungsfreiheit – ein Dilemma mit Verantwortung

Der Beitrag zeigt: Es geht nicht nur darum, Falschinformationen „richtigzustellen“. BOS bewegen sich im Spannungsfeld zwischen dem legitimen Schutz von Sicherheit und demokratischer Diskursfähigkeit einerseits – und der Gefahr eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Meinungsfreiheit andererseits.

Daher gilt: Nicht jede Falschinformation muss eine behördliche Reaktion nach sich ziehen. Erst wenn sie tatsächlich sicherheitsrelevant ist – etwa Panik auslöst, Einsatzkräfte behindert oder demokratische Prozesse gefährdet – sind gezielte Maßnahmen gerechtfertigt. Und auch dann sollten BOS die Auswirkungen ihrer Gegenmaßnahmen kritisch reflektieren: von unbeabsichtigten Reichweiteneffekten bis hin zu Fragen der Zielgruppenansprache oder Fehleranfälligkeit bei vorschnellen Richtigstellungen.

Falschinformationen in den sozialen Medien sind eine wachsende Herausforderung für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Um die Sicherheit sowie einen funktionierenden demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu erhalten, müssen BOS mitunter gegen sie vorgehen. Gleichzeitig dürfen sie nicht unverhältnismäßig in die Meinungsfreiheit und weitere Rechte eingreifen. Wie sollten BOS also agieren und auftretende Wertkonflikte abwägen? Diese Fragen untersucht der vorliegende Beitrag. Er zeigt grundlegende Überlegungen für einen ethisch reflektierten Umgang mit Falschinformationen auf. Anschließend diskutiert er aus ethischer und demokratietheoretischer Sicht drei Gruppen von Gegenmaßnahmen: nutzerzentrierte Maßnahmen insbesondere zur Erhöhung der Medienkompetenz, präventive und reaktive Kommunikation der BOS sowie deren Vertrauens- und Communitymanagement. Im Ergebnis könnten BOS sich stärker in der Medienkompetenzbildung von Erwachsenen engagieren, wenn sie dabei möglichst ausgewogen bleiben und auch vermitteln, warum bestimmte Quellen besonders vertrauenswürdig sind. Die in der Literatur aktuell diskutierten Maßnahmen der „psychologischen Inokulation“ sowie des „Nudgings“ sollten BOS nur besonnen einsetzen. Wenn BOS zu Falschinformationen kommunizieren, können sie sich fünf Fragen stellen. Diese betreffen die Zielgruppen der Kommunikation, die Abwägungen zwischen Schnelligkeit und Genauigkeit und zwischen Transparenz und entgegenstehenden Verpflichtungen, die Notwendigkeit formeller Widerspruchsmöglichkeiten gegen Richtigstellungen und die besondere Verantwortung bei Kritik an der eigenen Institution. Das Vertrauens- und Communitymanagement der BOS darf Followerinnen und Follower niemals als bloßes Mittel zum Zweck behandeln. Diese ethischen und demokratietheoretischen Reflexionen unterstützen BOS dabei, im Einklang mit demokratischen Werten wirksame Maßnahmen gegen Falschinformationen in den sozialen Medien zu ergreifen.

„Zum Umgang mit Falschinformationen in den sozialen Medien. Ethische und demokratietheoretische Reflexionen möglicher Gegenmaßnahmen von Sicherheitsbehörden“ – Maria Pawelec, Luzia SieviVolltext (pdf, 546 KB)  Zitation (ris, 2 KB) 

Drei Wege im Umgang mit Desinformation – und ihre Fallstricke

Die Autorinnen analysieren drei besonders relevante Handlungsfelder:

1. Medienkompetenz stärken – aber mit Augenmaß

BOS könnten sich künftig stärker in der Medienkompetenzbildung Erwachsener engagieren – etwa durch Kampagnen oder Schulungen, die erklären, wie und warum bestimmte Quellen besonders vertrauenswürdig sind. Dabei gilt: Kein Generalverdacht gegenüber alternativen Quellen, keine autoritäre Deutungshoheit – sondern kritische Urteilsfähigkeit fördern.

Vorsicht ist bei psychologischer Inokulation (eine Art Desinformations-Impfung) und „Nudging“ geboten: Wer mit manipulativem Verhaltenserzwingen arbeitet oder sogar bewusst falsche Informationen „zur Übung“ einstreut, riskiert Vertrauensverluste und ethische Grenzverletzungen.

2. Kommunizieren – aber reflektiert

Ob präventiv oder reaktiv: Kommunikation ist eines der wichtigsten Werkzeuge gegen Desinformation. Doch auch hier braucht es eine ethisch fundierte Abwägung:

  • Wer wird erreicht – und wer nicht?
  • Wie lässt sich der Zielkonflikt zwischen Schnelligkeit und Genauigkeit verantwortungsvoll lösen?
  • Wann überwiegen Geheimhaltungspflichten gegenüber dem öffentlichen Interesse?
  • Welche Korrekturmöglichkeiten haben Betroffene bei Falschkennzeichnungen?

Insbesondere wenn BOS selbst Ziel von Kritik oder Shitstorms werden, gilt: Nicht jede Kritik ist Desinformation. Auch falsche Kritik kann Ausdruck von Meinung sein – und gehört zur demokratischen Auseinandersetzung.

3. Vertrauen ist keine Einbahnstraße

Vertrauens- und Communitymanagement ist ein zentraler Baustein strategischer Krisenkommunikation. Doch Follower:innen sind keine PR-Werkzeuge. Wer Interaktion möchte, muss sich auf eine gleichwürdige Kommunikation auf Augenhöhe einlassen – auch in Kommentarspalten. Likes sind kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz.

Fünf Fragen für die Praxis

Als praktisches Hilfsmittel empfehlen die Autorinnen fünf Leitfragen, die BOS bei der Entscheidung über Kommunikationsmaßnahmen leiten können:

  1. Wen erreichen wir – wen nicht?
  2. Schnelligkeit oder Genauigkeit?
  3. Transparenz oder Geheimhaltung?
  4. Welche Widerspruchsmöglichkeiten gibt es?
  5. Wie gehen wir mit Kritik an uns selbst um?

Ethisch handeln – Vertrauen bewahren

Der Beitrag von Pawelec und Sievi ist keine einfache Handlungsanleitung, sondern ein Plädoyer für reflektiertes, verantwortungsbewusstes und dialogorientiertes Handeln. Wer Falschinformationen bekämpfen will, darf sich nicht selbst der Illusion der Allwissenheit hingeben. BOS müssen abwägen, zuhören, erklären – und notfalls auch aushalten. Denn genau darin liegt ihre demokratische Stärke.

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