An Weihnachten 2023 beschäftigte zahlreiche Feuerwehren in Deutschland ein Hochwasser, das mit lokalen Schwerpunkten in Teilen Norddeutschlands, insbesondere Niedersachsens, sowie Sachsen-Anhalts, Thüringens und Nordrhein-Westfalens auftrat, jedoch auch einige andere Landesteile betraf. Infolge starker Regenfälle, die auf bereits gesättigte Böden trafen, kam es teils zu großflächigen Überschwemmungen, die bis in den Januar 2024 anhielten. Mehrere Ortschaften mussten evakuiert werden, verschiedene Talsperren waren vollständig gefüllt und führten Wasser über ihre Hochwasserentlastungen ab.
Auch der Landkreis Oldenburg im westlichen Niedersachsen war stark betroffen…
Fotos: Pressestelle Kreisfeuerwehr Oldenburg
Jannik Stiller war als Pressesprecher der Feuerwehren im Landkreis Oldenburg im Einsatz…
„Mammutaufgabe! Dieses Wort beschreibt die letzten 8 Tage sehr gut und spiegelt wider, wie wichtig die Krisenkommunikation und der Austausch zwischen Feuerwehr und Bevölkerung, aber vor allem auch mit den Medien ist.
Die Situation spitzte sich am 24.12. nur langsam zu, aber einen Tag später rief mich Tom um 22:00 Uhr mit ernsten Worten an: „Jannik, du musst sofort herkommen!“
Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Dienstfahrzeug in Wildeshausen bei einem Einsatz mit einem Kamerateam war, fuhren wir sofort los. In Sandkrug angekommen, wurde schnell klar: Hier ist es ernst. Der Deich war instabil und drohte zu brechen. Das Wasser stand 2 Meter hoch am Deich und auf einer Fläche von mehreren Kilometern. Was dann geschah, war unbeschreiblich.
Bereits in der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag rückten mehrere Einheiten der Feuerwehren aus, um schnellstmöglich Hilfe zu leisten. Weitere folgten in den nächsten 8 Tagen.
Die Medienanfragen nahmen deutlich zu, ein Pressesprecher reichte nicht aus. Also musste Tom aus der Einsatzleitung aussteigen und als Pressesprecher helfen. Und was soll ich sagen: Das ist ein Fulltime-Job. Kaum Schlaf und eine Erreichbarkeit von morgens bis abends und manchmal Anrufe bis spät in die Nacht. RTL, Tagesschau, NDR, WELT oder NTV – teilweise live mit Interviews. Vieles konnte in den Medien hautnah mitverfolgt werden, ein Grund dafür war unser sensibles Vorgehen. Einsatzstellen wurden nur in unserer Begleitung betreten und die Informationsweitergabe gefiltert, um möglichen Falschmeldungen vorzubeugen.
Es zeigt sich, wie wichtig interne, aber vor allem auch externe Krisenkommunikation ist. Die Medien brauchen Informationen und feste Ansprechpartner. Sonst besteht die Gefahr, dass ein gut gelaufener Einsatz im Internet zerrissen wird. An dieser Stelle möchte ich mich bei Tom für die Zusammenarbeit bedanken. Ich danke aber auch Frank, Stephan und Hendrik als Kreisbrandmeister und der gesamten Einsatzleitung und Guido für das Vertrauen in unsere Arbeit. Hut ab vor allen eingesetzten Kräften – eine Wahnsinnsarbeit.
Der Deich ist stabiler, der Kräfteansatz reduziert. Silvester. Feiertag. Familie. Endlich wieder Alltag.“
Wie ist die Pressearbeit bei Euch organisiert?
Jannik Stiller: Vor einem Jahr haben wir die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Landkreis Oldenburg neu strukturiert. Als erste Maßnahme haben wir eine Pressestelle neu aufgebaut und das Team um einen Pressesprecher aufgestockt. Konkret bedeutet dies, dass die Pressestelle aus drei Pressesprechern besteht, die sich auf das Einsatzgebiet verteilen. Die Pressestelle informiert bei relevanten Einsätzen automatisiert und stichwortabhängig akkreditierte Pressevertreter:innen. Um eine Betreuung der Medienvertreter:innen zu gewährleisten, wird ein Pressesprecher der Orts-/Gemeinde- oder Kreisfeuerwehr entsandt.
Wie lief der Einsatz für Dich als Pressesprecher ab?
Jannik Stiller: Reich an Ereignissen. Vom Anfang bis zum Ende. Aber fangen wir am Anfang an. Wir schreiben den 24.12.2023, Weihnachten steht vor der Tür und seit einigen Tagen beobachten wir akribisch den Pegelstand der Hunte. In Wildeshausen liefen die ersten Keller voll und ich besorgte mir vorsorglich ein Dienstfahrzeug der Kreisfeuerwehr, was sich im weiteren Verlauf des Einsatzes als sehr nützlich erwies. Der 25.12. verlief ähnlich wie der Vortag, doch am Abend wendete sich das Blatt. Mein Kollege von der Pressestelle, Tom Kramer, rief mich gegen 23 Uhr an und sagte kurz und knapp: „Du musst jetzt kommen!“ Er war zu diesem Zeitpunkt in der Einsatzleitung der Feuerwehr Sandkurg und berichtete, dass der Deich zu brechen drohte. Sofort machte ich mich auf den Weg, um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen – was folgte, waren Tage voller Ereignisse, Telefonate und extrem hoher Motivation aller eingesetzten Kräfte.
Vor Ort wurde ich von der Einsatzleitung in die Lage eingewiesen und machte mich an die Arbeit. Gemeinsam mit dem Bürgermeister der Gemeinde Hatten und der Einsatzleitung wurden alle weiteren Schritte vorbereitet und schließlich kommuniziert.
Was wir nach etwa zwei Tagen merkten: Ein Pressesprecher reicht nicht aus. So wurde Tom aus der Einsatzleitung abgezogen und wir begannen zu zweit mit der Pressearbeit.
Was habt Ihr vor Ort und im Hintergrund gemacht? Wie habt Ihr Euch organisiert und aufgeteilt?
Jannik Stiller: Wir haben zwischen aktiver und passiver Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterschieden und uns für die Stufe 4 „aktive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Einsatz (groß), Presse- und Öffentlichkeitsarbeit durch die Pressestelle“ entschieden. Das Stufenkonzept der PÖA umfasst vier Eskalationsstufen. In der Vorplanung haben wir festgelegt, dass in der Anfangsphase möglichst immer das gleiche Gesicht in den Medien gezeigt werden soll. Durch den Vorteil, dass wir nun zu zweit waren, konnten wir einen Pressesprecher im Hintergrund Social Media, Telefonate und Dokumentationen erledigen lassen und der andere Pressesprecher kümmerte sich um Interviews und die Ansprache der Bevölkerung.
Welche Ausrüstung und Hilfsmittel stehen Euch zur Verfügung?
Jannik Stiller: Glücklicherweise können wir als Pressestelle der Kreisfeuerwehr auf ein Fahrzeug zurückgreifen, um Pressevertreter oder Politiker in das Schadensgebiet zu fahren und so die Informationen zu kanalisieren. Dieser Punkt ist entscheidend, da das Schadensgebiet sehr groß war und viele Feuerwehren an vielen Stellen im Einsatz waren. Aus diesem Grund war auch der Absperrbereich groß und nur mit Feuerwehrfahrzeugen passierbar. Im Nachhinein hat das den Kontakt zu den Medien gestärkt und viel Vertrauen geschaffen. Denn seien wir ehrlich: Ein eigenes Fahrzeug ist in einer solchen Situation nicht selbstverständlich und wir bedanken uns an dieser Stelle bei unserer Kreisführung.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die qualitativ hochwertige Produktion von Bildmaterial. Dazu gehören Beiträge in den sozialen Medien, aber auch Statements des Bürgermeisters. Letzteres darf nicht vergessen werden, denn der Bürgermeister hat eine Leuchtturmfunktion. Das heißt, er muss Ruhe, Sicherheit und Kompetenz ausstrahlen und diese im besten Fall über Social Media verbreiten. Als Werkzeug benutzten wir eine Systemkamera mit einem Zoomobjektiv mit niedriger Blende, um auch bei Dunkelheit genügend Licht einfangen zu können.
Welchen Einfluss hat die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf den eigentlichen Einsatz?
Jannik Stiller: Einen Monat vor dem Hochwasser haben wir das Presseportal eingerichtet. Mit diesem leistungsfähigen Instrument konnten wir die Pressemitteilungen gezielt steuern. Durch die aktive Berichterstattung und den guten Kontakt zu den lokalen Nachrichtenagenturen haben wir eine große Reichweite generiert. Unsere Hochwasserlage im Bereich der Hunte konnte medial bis in den Landtag nach Hannover getragen werden. Die Folge: Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens und Bundesministerin Nancy Faeser verschafften sich vor Ort einen Überblick und sicherten Luftunterstützung zu. Einen Tag später landete ein PUMA der Bundespolizei und unterstützte beim Transport von Big-Packs zur Deichsicherung.
Welche Erfahrungen in Bezug auf die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nimmst Du aus dem Einsatz mit?
Jannik Stiller: Mein Fazit…
- Mindestens zwei Pressesprecher notwendig (aktive und passive Pressearbeit)
- Eigene Telefonnummer ist sinnvoll (mehr als 20 Anrufe pro Tag, ständige Erreichbarkeit)
- Ein eigenes Fahrzeug ist notwendig (1.000 km durch die Pressestelle innerhalb der gesamten Lage)
- Transparente und ehrliche Kommunikation ist das A und O
- Die richtigen Tools sollten frühzeitig implementiert werden (Presseportal, Equipment, Bildtools etc.)
- Kanalisierung der Informationen durch Medienbetreuung
- Auch mal nein sagen können (man muss sich auf SEINE Aufgaben konzentrieren, andere Aufgaben sollten abgegeben werden)
Krisenkommunikation und die Warnung der Bevölkerung sind wie ein Leuchtturm in stürmischer See – sie müssen transparent strahlen, ehrlich den Kurs anzeigen und kontinuierlich ihr Licht der Information ausstrahlen, um die Sicherheit aller zu gewährleisten.
Jannik Stiller
Coming soon: Fachbuch „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Feuerwehr“
Im Zeitalter von Internet und Social Media ist eine aussagekräftige und zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit längst nicht mehr nur ein kleiner Teilbereich im Aufgabenspektrum der Feuerwehr. Die Autoren Jannik Stiller, Heiko Hahnenstein, Michael Ehresmann und Sebastian Baum bieten eine Übersicht zu den unterschiedlichen medialen Formen und zur persönlichen Präsentation beispielsweise von Interviews. Da eine nachhaltige Imagepflege wichtig zur Mitgliedergewinnung und -erhaltung ist, vermittelt das Buch auch die nötigen Kompetenzen zum Umgang mit negativer Presse. Praxisbeispiele positiver Mediennutzung, Checklisten sowie Social-Media-Guidelines runden den Inhalt ab.